Robin Lindner's profile

der winter, die schöne frau.






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Es ist 2:30h und ich sitze nach der Spätschicht im Hauseingang, trinke ein Feierabendbier und glotze den Mond an. Es ist ein Sternburg Export, schließlich muss man die lokale Brauerei unterstützen wenn man gleich daneben wohnt. Ich hab keine Ahnung, wie viele andere Artgenossen gerade bei minus 8 Grad im Freien sitzen und Mondgucken, es ist eine dieser Fragen, die mich brennend interessieren würde, auf die man aber nie eine Antwort bekommt. Der Rauch eines Schornsteins des Nachbarhauses verschleiert in unregelmäßigen Abständen die kontrastierte Silhouette des Mondes, der so klar scheint, dass ich den Inhaltspegel meines Biers sehen kann, wenn ich ihm die braune Flasche entgegenhalte. Die Luft ist klar und ruhig, und ich frage mich, wie so oft, warum man solche Momente nicht öfters sucht. Viel zu selten bewegt man sich aus der Komfortzone heraus, besonders im Winter. Dabei bringt er gerade deswegen so viel Schönheit mit, weil sie weitaus unbekannter ist als die des warmen Sommers. Ein Geheimtipp unter den Jahreszeiten quasi. Der Winter ist wie eine attraktive Frau, die derart schön ist, dass nur die wenigsten sich trauen, auf sie zuzugehen, alle abgeschreckt vor dem drohenden Unbehagen. Dabei würde man eine derartig klare Luft, eine alles umhüllende Stille, eine wohlige Einsamkeit, untermalt mit der tragischen Kargheit der Landschaft und den knorrigen Gerippen der Bäume, allesamt im Sommer niemals in derartiger Ausführung finden. Man sollte dem Winter eigentlich viel öfter bewusst begegnen, sich auch einmal bei Schnee in den Park setzen oder im eisigen Wind eine Fahrradtour durch den Wald machen, schließlich gibt es ja bekanntlich kein schlechtes Wetter sondern nur schlechte Ausrüstung. Aber wie so oft sind es Vorsätze, die ich selbst leider viel zu selten schaffe einzuhalten. Ich bin froh, mich wenigstens für das Feierabendbier im Freien entschieden zu haben. Wenn man sich wieder einmal Gedanken über den Sinn des Lebens, die eigene Zukunft, das Dasein und die Menschheit macht, hilft nichts mehr als ein Blick in den Nachthimmel, der mit all seinen Komponenten fast jede Frage im Handumdrehen relativiert. Als kleiner Mensch sitze ich da im Hauseingang und halte mein Schicksal für unendlich wichtig, wo über mir die Unendlichkeit schwebt und um mich Milliarden andere Lebewesen dümpeln. Als derart kleiner Bestandteil eines derart großen Ganzen kann man unmöglich die Sorgen über die Masterstudiengangswahl allzu hoch hängen. Ist einfach so. Der Gesellschaftsdruck kann sich ficken gehen.

Es vergeht viel Zeit bis sich mein Bier allmählich leert. Weitere Rauchschwaden ziehen vorbei, der Mond wandert stur in Richtung der Regenrinne meines Hauses. Nur vereinzelte Geräusche sind zu vernehmen und geben mir das beruhigende Gefühl, dass selbst Großstädte irgendwann zur Ruhe kommen. Irgendwo knarzt eine Tür, oben röhrt weit entfernt ein Flugzeug und in der Nähe flattern ein paar Tauben davon. Das ist alles, sonst ist da nichts außer die winterlich klare Luft und der helle Mondschein. Verdammt ja, ich muss so etwas öfters machen. Irgendwann geht im Nachbarhaus Licht an und zwei Frauen laufen über den Hof zum Eingang in dem ich sitze. Ich grüße und mache Platz, damit die beiden reinkönnen. Sie wollen wissen, ob ich auch reinmöchte, aber ich verneine und verweise auf mein fast leeres Bier. Irgendwie komme ich mir einen Moment lang dann doch seltsam vor, wie ich um kurz vor 3 mit einem kühlen Getränk bei minus 8 Grad im Hauseingang sitze. Was die beiden jetzt wohl von mir denken? Der Gesellschaftsdruck kann sich eben doch nicht ganz ficken gehen.




der winter, die schöne frau.
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Gedanken zum Winter.

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